Jeder zweite Konzern hat keine digitale Strategie
Die vierte industrielle Revolution nimmt Fahrt auf. Doch längst nicht jedes Unternehmen hält bei der Digitalisierung mit. Dabei ist Digitalisierung ein großer Wachstumstreiber. Von Lena Bulczak und Michael Gneuss
Foto: Infografik Die WeltMit Adidas führt überraschend ein Nicht-IT-Konzern das Ranking an
Ihr computergesteuerter Mercedes, der per Radar und Kameras die Umgebung erkennt, zeigt aber auch, wie weit der Autobauer in der vierten industriellen Revolution vorangeschritten ist: Daimler wird ein digitales Unternehmen.
Top-Manager sind gefordert
Dazu müssen alle großen Unternehmen in Deutschland werden, fordern die Autoren der Studie „Neue Geschäfte, neue Wettbewerber: Die Top-500 vor der digitalen Herausforderung“. Die Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture, die der „Welt am Sonntag“ exklusiv vorliegt, mahnt: „Die Vorstände der Top-500-Konzerne müssen sich mit der Digitalisierung beschäftigen – egal aus welcher Branche sie kommen.“
Dabei seien nicht nur Technikchefs gefordert, sondern alle Top-Manager. Wie weit die Konzerne in der Digitalisierung vorangeschritten sind, hat Accenture auf Basis des jährlichenUnternehmensrankings „Deutschlands Große 500“ der „Welt“untersucht.
Erstaunlich ist, dass gerade unter den Top-500-Konzernen, die in den vergangenen Jahren besonders erfolgreich waren, viele hinterherhinken. „Nur die Hälfte der Top-500-Wachstumssieger stellen sich bislang aktiv dem neuen Wettbewerbsfeld Digitalisierung“, schreiben die Berater. Dagegen nutzten bereits zwei Drittel der übrigen Unternehmen die Chancen der Digitalisierung, um aufzuholen.
Es ist noch nicht zu spät
Um die Top-500-Konzerne vergleichen zu können, hat Accenture einen Digitalisierungsindex entwickelt. Er bewertet mit Noten von Eins bis Vier, wie weit ein Unternehmen seine Strategien, Angebote und Prozesse digitalisiert hat.
Die Top-500-Wachstumssieger erreichen dabei im Durchschnitt nach vorläufigen Ergebnissen die Note 2,7, die übrigen Unternehmen sind mit 2,5 etwas besser. An der Spitze der Rangliste stehen der Sportartikelhersteller Adidas, der Softwareriese SAP und der Medienkonzern Axel Springer („Bild“, „Welt am Sonntag“, „Welt“).
„Für die Unternehmen, die noch keine digitalen Strategien formuliert haben, ist es noch nicht zu spät, aber es wird jetzt Zeit, damit zu beginnen“, mahnen die Autoren. Die Top-500 stünden vor einer großen Bewährungsprobe: „Noch viel schneller als bisher können Positionen auf den Märkten verloren – oder auch neu erobert – werden.“
Mit intelligenten Produkten und digitalen Dienstleistungen können die Kundenbedürfnisse besser erkannt werden. Beispielsweise mit der interaktiven Umkleidekabine von Adidas, die im vergangenen Jahr mit dem Cebit Innovation Award ausgezeichnet wurde. Im „Next Generation Fashion Store“ des Unternehmens ermittelt ein Körperscanner die richtige Konfektionsgröße des Kunden, ein digitaler Assistent berät bei der Anprobe und stellt auf Wunsch die Verbindung zu sozialen Netzwerken her.
Digitalisierung ist Wachstumstreiber
Die Deutsche Post, auch ein Digitalisierungs-Vorreiter, setzt nicht nur auf selbst entwickelte E-Post-Angebote, sondern auch auf neue Geschäftsfelder wie den Online-Lebensmittelhandel. Dafür hat sich der Konzern mehrheitlich am Internetsupermarkt Allyouneed.combeteiligt und bietet in Großstädten inzwischen eine Zustellung am Abend an. Der Versandhändler Otto verkauft heute mehr als die Hälfte seiner Produkte online.
„Digitale Strategien sind ein Muss für jedes Unternehmen“, sagt Ex-SAP-Vorstandschef Henning Kagermann. Kein Entscheider solle denken, die Entwicklung betreffe ihn nicht. Der heutige Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften leitet dort mit Accenture-Deutschlandchef Frank Riemensperger den Arbeitskreis „Internetbasierte Dienste für die Wirtschaft“.
Die Digitalisierung ist für ihn Wachstumstreiber und Innovationsmotor, sie könne Jobs schaffen und die Wertschöpfung in Deutschland steigern. „Dieses Potenzial können wir nur heben, wenn wir mit intelligenten Produkten, mit Big und Smart Data innovative Plattformen für neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle schaffen“, sagt Kagermann. Jetzt gehe es darum, die von der Digitalisierung getriebene vierte industrielle Revolution einzuläuten.
Technologien flächendeckend einsetzbar
Diese Visionen haben schon die New Economy der Jahrtausendwende angetrieben. „Die Ideen waren auch damals richtig, nur die Technologien waren noch nicht reif“, meint Kagermann.
Inzwischen sei die Wirtschaft an einem Wendepunkt angekommen, an dem sich die Marktdurchdringung digitaler Technologien rapide beschleunigt. „Sensorik, Realweltdaten, Big und Smart Data – die Technologien sind kostengünstig und flächendeckend einsetzbar“, sagt Kagermann. „Dieser Bereich wird exponentiell wachsen.“
Etwa in der Automobilindustrie. Dort zieht nach der Elektrotechnik jetzt die Informations- und Kommunikationstechnologie ein. Internetkonzerne wie Google schließen sich zusammen mit Automobilherstellern und großen Zulieferern – oder sie konkurrieren mit ihnen. „Wenn die Internetgiganten mit neuen Wertversprechen an die Kunden herantreten, kann die gesamte Erlösstruktur der Branche kippen“, warnt Kagermann. Im Extremfall könnten die digitalen Quereinsteiger die einstigen Hersteller an den Rand drängen.
Aufbau neuer Geschäftsmodelle sind nötig
Aber auch Volkswagen, BMW und Daimler tüfteln am vernetzte Fahrzeug. Mercedes-Benz, nicht nur mit dem S500 Intelligent Drive in der neuen Industriewelt unterwegs, zählt zu Accentures Digitalisierungs-Champions. „Für 48 Prozent der Autofahrer in Deutschland sind elektronische Assistenzsysteme und die Informations- und Unterhaltungselektronik mittlerweile schon bedeutsamer als die Fahrleistungen“, haben Umfragen von Accenture ergeben.
Das passt zur Erkenntnis der Studienautoren, die den Trend zu „Everything as a Service“ als Begleiterscheinung der Digitalisierung ansehen. Der Ansatz stellt Dienstleistungen in den Mittelpunkt der Geschäftsmodelle.
Aus Kagermanns Sicht geht es jetzt darum neue Werte zu entdecken, für die Kunden bereit sind, zu bezahlen. Doch sind Manager und Gründer dafür bereit? „Es gibt hier zu wenig Unternehmen, die schnell wachsen“, moniert Kagermann. Zu wenige Start-ups in Deutschland kletterten über die Umsatzschwelle von 100 Millionen Euro. „Wenn der Aufbau neuer Geschäftsmodelle nicht schnell genug geht, werden Marktchancen verspielt.“
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